Montag, 14. November 2011

Was sind Wildstauden und was ist ein Wildstaudengarten?

In der facebook- Gruppe „Pflanzenfans“ wurde mein Wildstauden- Blog folgendermaßen kommentiert: „Ich finde das Blog wirklich sehr schön und informativ, aber der Titel passt irgendwie nicht. Sorten und Hybriden sind keine Wildstauden und bei den Staudengärtnern zählen auch keine fremdländischen Wildformen (die ich persönlich sogar noch gelten lassen würde) dazu, sondern ausschließlich heimische Arten.“
Meine Antwort war: „Ich bin Dir sehr dankbar für Deine Meinung bezüglich der Wildstauden. Der Begriff Wildstauden ist sehr zweideutig besonders in Deutschland. Ich werde das zum Anlass nehmen und mich jetzt in der dunklen Jahreszeit mal intensiv damit beschäftigen.“

Doch zuvor noch einige grundsätzliche Bemerkungen. Natürlich sind nicht alle Stauden in unserem Garten Wildstauden. In einem Rosengarten gibt es auch nicht nur Rosen. Ich sehe das nicht so eng, aber ich denke 90 % Wildstauden werden es schon sein.
Unter dem Begriff Wildstauden nur die einheimischen zu verstehen, halte ich für falsch, was ich im Folgenden zu begründen versuche

Karl Förster (1874-1970) gibt in seinem Buch „Der Steingarten der sieben Jahreszeiten“ (1981) einen kurzen Überblick der Gartenhistorie in seiner unverwechselbaren Schreibweise, die ich Euch nicht vorenthalten möchte: „Bis zu Goethes Zeiten liefen, durch Erdräume getrennt, zwei große Ströme der Gartengestaltung ohne Verbindung nebeneinander her. Erst vor anderthalb Jahrhunderten wurden die Wasser des fernen, fremden Stromes nach Europa geleitet. Unser neues Jahrhundert arbeitet nun an einem Netz von Kanälen zwischen den beiden Kunstwelten. Heimatländer des einen Stroms, nämlich der der regelmäßig-architektonischen, also baulichen Gartengestaltung, sind Europa, Indien und der Orient. Urland des anderen Stroms, der naturhaften Gartengestaltung, ist der Osten: China und Japan…. Welch ein Ereignis, als der goldne Oststrom über England zu uns geleitet wurde.“
An anderer Stelle schreibt Förster: „Die eine Hälfte der Gartengestaltung ist dem Gesetz der Prachtentfaltung ohne Rücksicht auf das Wildnisleben der Pflanze unterworfen und schließt sich an geometrische Umgebungen der Pflanzung an, während auf der anderen Seite die Wildnisgartenkunst das natürliche Vorkommen der Pflanze in der Wildnis an passenden Gartenplätzen nachbildet und sich hierbei aber auch veredelter und fremdbeheimateter Wildnisgartengestalten bedient, die in das geschaffene Naturbild hineinpassen.“
William Robinson (1838-1935) veröffentlichte in seinem Buch „The Wild Garden“ wohl zum ersten Mal die Idee, Wildstauden in den Garten einzuführen und damit meinte er auch Pflanzen aus anderen Teilen der Erde, die sich im Klima Irlands gut bewähren würden.  Beide Urväter des Wildstaudengartens sind sich also einig, dass der Begriff Wildstauden nicht nur die einheimischen Pflanzen betrifft.
Etwa hundert Jahre später bestätigt Klaus Kaiser in seinem Buch „Wildstauden“ (1989) diese Definition. Als Wildstauden werden alle nicht züchterisch bearbeiteten Stauden bezeichnet, die aus den gemäßigten Klimazonen der ganzen Welt kommen. „Somit nicht nur heimische Arten, wie oft angenommen.“ Klaus Kaiser klärt in seinem Buch auch den weit verbreiteten Irrtum auf, dass Sortennamen hinter dem Artnamen auf eine züchterische Bearbeitung hindeuten, es sich also nicht um Wildstauden handelt. So ist z. B. Rudbeckia fulgida var. sullivantii eine reine Wildart, die jedoch von Karl Förster in den 60er Jahren den Handelsnamen ‚Goldsturm’ erhielt. Heute ist diese Wildstaude die meistverkaufte Staude der Welt.

Die doch recht engagierte Naturgartenbewegung, die in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts begann, hat den Begriff der Wildstauden auf einheimische Wildstauden eingegrenzt. Damit ist den Wildstauden kein guter Dienst erwiesen worden.
Das auch heute noch so gedacht wird, zeigt die Diplomarbeit von Raphaela Berneder am Institut für Garten-, Obst- und Weinbau, Universität für Bodenkultur, Wien (2008) mit dem Titel: „Wildstauden in der gärtnerischen Kulturpraxis“. Hier werden für die Definition des Begriffes Wildstauden folgende Zitierungen bemüht: „Wildwachsende Staudenarten werden als Wildstauden bezeichnet.“ zitiert von Adler, 2008, S. 38ff. und zitiert von Jelitto, 1959, S. 117: „Der Begriff „Wild“ bezieht sich auf die ursprüngliche Form am natürlichen Standort.“ Dabei wird leider nicht darauf eingegangen, dass dieser natürliche Standort auch irgendwo in Amerika oder Asien sein kann. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass im gesamten Verlauf der Arbeit der Begriff Wildstauden mit einheimischen Wildstauden gleichgesetzt wird.

In den Büchern von Piet Oudolf ist zwar nicht der Begriff Wildstaude genannt, stattdessen schreibt er von natürlich vorkommende Arten oder Auslesen bzw. Pflanzen mit Wildcharakter, die zusammen mit von der Natur inspirierten Pflanzplänen eine naturnahe Gartengestaltung definieren. Er schreibt, dass die meisten Gärtner der Meinung sind, dass eine aus nur heimischen Pflanzen bestehende Anlage kaum die visuellen Erlebnisse bieten kann, die Menschen von Gärten erwarten.
Im Buch „Neue Staudenverwendung“ von Norbert Kühn (2011) gibt es folgende Definition zu Wildstauden: „Züchterisch nicht oder wenig veränderte Ausgangsformen von natürlich vorkommenden Pflanzenarten.“ Hier wird in der Definition auch nicht darauf hingewiesen, dass Wildstauden aus allen gemäßigten Klimazonen der Welt stammen können. Im Text wird aber sehr deutlich, dass alle gemeint sind.
In einem weiteren, neuen Staudenbuch „Stauden im Garten“ von Bettina Rehm-Wolters und Markus Zeiler (2011), wird bei der Vorstellung des New German Garden Style, einem neuen naturalistischen Gartenstil, darauf hingewiesen, dass im Gegensatz zur Naturgartenbewegung nicht nur einheimische Stauden verwendet werden, sondern es kommen auch fremdländische Wildstauden zum Einsatz.

Jetzt fällt mir ein Stein vom Herzen. Die Förstersche Wildnisgartenkunst ist im naturalistischen Gartenstil wiedergeboren und auch der Begriff Wildstauden beinhaltet wieder die von den Pflanzensammlern der vergangenen Jahrhunderte in aufopferungsvoller Arbeit gesammelten Wildstauden Europas, Asiens und Amerikas.
Ich kann nur hoffen, dass sich die Wildstauden möglichst bald von der Okkupation durch die Naturgartenbewegung völlig befreien und wieder das sind, was sie mal waren und heute in unserem Garten sind, eine, grob geschätzt, gute Hälfte aller in den Gärten blühenden Stauden. In den Gärten des New German Garden Style werden es sicher mehr sein und in unserem Wildstaudengarten, wie eingangs erwähnt, etwa 90 %.
Nun bleibt nur noch zu erklären, warum wir uns für die Wildstauden entschieden haben. Ich weiß es nicht genau. Möglicherweise war es die lebenslange Beschäftigung mit der Nutztierzüchtung, die mir klar gemacht hat, dass manche Züchtungserfolge im Garten nicht notwendig sind. Papageientulpen oder neonbunte Bart-Iris und Taglilien finde ich genau so unnötig, wie Rieseneuter oder Legehennen im Käfig. Der geringere Pflegeaufwand der Wildstauden ist eine angenehme Zugabe und auch ein ökologischer Aspekt.
Mehr zu unserem Gartenstil unter: http://www.wildstaudenzauber.de/Seiten/Wildstaudengarten.html und die Gestaltungsgrundsätze unter: http://www.wildstaudenzauber.de/Seiten/Gartengestaltung.html.

3 Kommentare:

  1. Dein Post beinhaltet sehr spannende Überlegungen. Für mich stehen Wildstaude und Sorte in keinem Widerspruch, denn viele Sorten sind nicht in Gärten entstanden, sondern in der Natur. Das ist bei vielen Alba-Formen der Fall, aber auch andere abweichende Formen sind häufig (Blattzeichnung, Größe, Farbe), ebenso wie Naturhybriden.

    Klarerweise ist hier die Abgrenzung schwer, denn nicht immer sind Hybriden auch in der Natur entstanden (Anemone lipsiensis aus A. nemorosa x A. ranuncoloides fällt mir als erstes ein), denn manche Arten kommen in der Natur zwar gemeinsam vor, aber ihr Kreuzungsprodukt wurde erst in einem Garten gefunden.

    Andere Arten kämen nie gemeinsam vor, hybridisieren aber gern und rasch; sind das dann noch Wildstauden? Ich denke, man sollte den Begriff nicht so eng sehen. "Wildhaft" klingt schon ziemlich gut, denn zumindest ich denke bei Wildstauden an kleinblütige, wüchsige Pflanzen ohne pompöse Farben und Riesenblüten. Stimmt aber auch nicht immer ;-).

    LG, Katrin

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  2. Hallo Jochen!
    Das Bild von Asclepias incarnata ist in der Chicago Botanic Garden fotografiert. Es ist durchaus üblich in feuchten Prärien Nordamerikas. Die Samen werden keimen leicht, so viel Glück mit dem Saatgut.

    Ich stimme mit Ihnen in die Begründung des wilden Stauden. Der Begriff gilt für alle Pflanzen, die in freier Wildbahn überall in der Welt wachsen, nach meine Meinung, auch ausgewählte Formen.

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  3. empfehlung zum thema: jürgen dahls diverse gartenbücher. dürften ihnen allesamt sehr gut gefallen.

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